Nachgefragt: Entourage Ultras

Regenbogen

Moin! Schön, dass ihr euch die Zeit nehmt, um uns in der fußballfreien Zeit ein paar Fragen zu beantworten. Wie gestaltet sich euer Gruppenleben in Zeiten der
Kontakteinschränkungen?

 
Moin und danke für die Interviewanfrage. Auf Grund der Kontakteinschränkungen ist es
derzeit nicht möglich uns als Gruppe im Reallife zu treffen. Auch die Gruppenaktivitäten im Stadion oder im Fanprojekt sind im Zuge der Corana Pandemie weggefallen. Zurecht, da es sich bei Corona eben nicht um eine mittelschwere Grippe, sondern um eine neuartige Lungenerkrankung handelt, die zwar auch symptomlos verlaufen kann aber einen hohen Prozentsatz an schweren Verläufen mit sich bringt.
Daher läuft derzeit vieles über Messenger und es gab schon Treffen per Videokonferenz. Darüber hinaus laufen wir uns häufiger bei antirassistischen Kundgebungen oder bei Gegenprotesten der „Menschenwürde-Demo” natürlich mit Abstands- und Maskenpflicht über den Weg. Zudem treffen sich einzelne Mitglieder im privaten Rahmen. Da wir keine reine Zweckgemeinschaft zum Supporten sind, gibt es zwischen uns auch andere Schnittmengen, die über den Fußball hinaus reichen.

 
Ihr habt euch bewusst dazu entschieden, eine kleine Gruppe zu sein. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

 

Die Entscheidung stammt noch aus der Anfangsphase, in der wir als kleiner Freundeskreis gestartet sind. Wir haben kein offenes Mitgliedersystem oder versuchen Leute aus Kneipen zum Fußball zu schleppen, damit wir auf Masse gehen können. Ein solches Vorgehen hat in der Vergangenheit in der Fanszene immer zu Konflikten geführt. Wir setzen darauf, dass wir Leute ansprechen, die sowohl menschlich, als auch von ihrer Einstellung zu uns passen. Nur so schaffen wir eine Gruppe, die nicht nur durch die gleichen Ziele, sondern auch durch Freundschaften verbunden ist.

 
Wie ist eurer Verhältnis zu den anderen Fangruppen beim VfB?

 
Zu den meisten Fangruppen pflegen wir ein gutes Verhältnis. Besonders der Zwist mit
dem CD, aus unserer Anfangszeit, hat sich mittlerweile in Wohlgefallen aufgelöst.
Spätestens seit der gemeinsamen Zeit im Block A ist alles im blauen Bereich. Es gibt
natürlich auch Gruppen, mit denen es immer wieder zu Konflikten wegen unserer
antifaschistischen und antihomophoben Positionierung kam.

Spruchband

 

Im Stadion fallt ihr oftmals auch durch politische Spruchbänder auf. Warum ist es
euch wichtig, euch gesellschaftspolitisch im Stadion zu positionieren?

 
Da das Stadion kein politisches Vakuum ist und es immer wieder im Rahmen des Fußballs zu rassistischen, antisemitischen oder homophoben Vorfällen kommt, sei die Gegenfrage erlaubt: Wo sollte sich eine Ultràgruppe gesellschaftspolitisch positionieren, wenn nicht im Stadion?

 

Wie wird dies von der restlichen Fanszene aufgenommen?

 
Es gibt einige Menschen im Block, die sich über Tapeten aufregen, da sie vom Spiel
ablenken oder den Support kurz unterbrechen. Im Großen und Ganzen gibt es aber
überwiegend positives Feedback. Wenn es inhaltliche Kritik gibt, kommt die meist von
weiter außen. So wurde das Spruchband “Für fangerechte Anstoßzeiten” beim Heimspiel gegen Jeddeloh, das auf Grund einer Sport1 Übertragung bereits eine Stunde früher als üblich stattfand, oft als Jammern auf hohem Niveau interpretiert. Das Spiel war aber daserste TV-Spiel, bei dem wir als Gruppe auftraten. Die Chance auf fanfeindliche Anstoßzeiten durch TV-Übertragungen hinzuweisen wollten wir uns daher nicht entgehen lassen. Das ging wohl an den Kritisierenden vorbei.

 
Und wie nehmt ihr das Engagement von VfB für Alle wahr?

 
Weil einige Personen aus unserer Gruppe Mitglied im VfA sind, können wir sagen, dass
derzeit noch Luft nach oben ist. Wir schätzen die Arbeit des VfA als sehr wichtig ein und
es wurden sehr viele Dinge, wie zum Beispiel die Teilnahme am CSD angestoßen. Jedoch könnte etwas mehr im Stadion ankommen.

 
Ein großer Streitpunkt innerhalb der Fanszene war in der Vergangenheit die
Ausgliederung der ersten Mannschaft des VfB in eine Kapitalgesellschaft
bzw.vielmehr die Art und Weise wie diese durch die Verantwortlichen beim VfB
vollzogen wurde. Der Prozess hatte zur Folge, dass wenig bis gar nicht mehr
miteinander geredet wurde. Zudem kam es zu Austritten aus dem Verein.Wie steht ihr mittlerweile zu diesen Vorgängen und was hätte im Nachhinein von
Verantwortlichen und Fans besser gemacht werden können um die vielfältigen und komplexen Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen?

 

Wir haben an dieser Stelle keine Lust mit unseren Fingern auf andere Leute oder Gruppen zu zeigen. Stattdessen möchten wir uns an die eigene Nase packen. Als Gruppe, die sich häufig per Spruchband und manchmal auch per Stellungnahme positioniert, wäre es wichtig gewesen als Korrektiv aufzutreten. Dass Geld auf der einen Seite zum Fenster heraus geschmissen wird, während andererseits Gelder zurück gehalten wurden, war uns bekannt. Ebenfalls ist es kein Geheimnis, dass schon in der fast-Meistersaison 2015/16 trotz sportlichen Erfolg ordentlich Miese gemacht wurde. Kurzum: Wäre früher interveniert worden, wäre es wahrscheinlich gar nicht erst zu dieser Situation gekommen.

FCK2Ein weiterer Streitpunkt, der den Gesamtkonflikt zwischen Fans und VfB
Verantwortlichen zusätzlich verschärfte waren die Geschehnisse rund um den AfD Parteitag 2018 und die weiteren Folgen. Wie habt ihr die Vorgänge und die weitere Diskussion damals wahrgenommen? Was hätte hier im Nachhinein betrachtet von Verantwortlichen und Fans besser gemacht werden können?

 
Bereits in der Vorwoche, genauer gesagt beim Spiel gegen Hansa Lüneburg, zeigten wir das Spruchband “27./28.10. – AfD Parteitag weggrätschen!”, was wohl nicht allen
Vereinsverantwortlichen gefiel. In Lüneburg hatten sie aber keine Handhabe, das
Spruchband zu kassieren. In den folgenden Tagen positionierten sich noch weitere
Fangruppen und Teams des VfB Oldenburg gegen den AFD Parteitag. Das heizte
Stimmung wahrscheinlich noch weiter an. Da sich Gespräche mit den Offiziellen und somit ein Ende des Stimmungsverzichts abzeichneten und an den Spieltagen zuvor schon unorganisiert supportet wurde, waren wir umso mehr überrascht, als dann der Block A geschlossen wurde. Trotzdem hängten wir ein “FCK AFD” Transpi vor unseren bisherigen Block, den wir nach kurzer Zeit wieder in Richtung Gegengerade verließen. Das Transpi wurde vom Sicherheitsdienst entfernt, nachdem es dem Sicherheitsbeauftragten Holger Hoffmann nicht gelang ein inhaltsgleiches Banner auf der Gegengerade abzureißen. Kurz darauf folgte schon das Spiel in Jeddeloh, bei dem zum wiederholten Male versucht wurde uns die Regenbogenfahne zu entwenden. Als ein Frau, die nicht zu unserer Gruppe gehörte, die Fahne in der Hand hatte witterten ein paar Leute aus dem Ammerland ihreChance und versuchten die Fahne zu ziehen. Darauf folgte ein kurzes Handgemenge – die Fahne befindet sich immer noch in unserem Besitz. Im Nachgang gab es seitens des VfB für Alle (1) noch eine treffende und mit Quellen fundiert belegte Zusammenfassung aller Ereignisse. Diese wurde vom VfB Oldenburg mit einem peinlichen Schreiben (2) beantwortet. Nicht einmal der vermeintlich “klare Aufruf zur Gewalt” konnte inhaltlich richtig wiedergegeben werden. Unser Spruchband “27./28.10. – AfD Parteitag weggrätschen!” wurde zu einem “AFD weggrätschen!” verstümmelt. Auch wenn dieser Dilettantismus amüsant erscheinen mag, so gibt es leider auch Menschen, die solchen Darstellung glauben schenken. Besonders ärgerlich ist das in diesem Fall, da hier versucht wurde eine sogenannte Täter-Opfer-Umkehr zu bewerkstelligen: Wir als Angegriffene hätten zur Gewalt aufgerufen. Eine weitere Folge des Konflikts war es, dass Spruchbänder angemeldet werden müssen. Die Frist wurde auf 48 Stunden vor Spielbeginn gesetzt. Wenig überraschend führte dieser Umstand dazu, dass zwar die Spontanität etwas auf der Strecke blieb aber die Zahl der Spruchbänder zunahm. Immerhin mussten wir uns über Themen und Inhalte rechtzeitig Gedanken machen, anstatt kurzfristig eine Tapete zu malen. Seit einiger Zeit versucht sich der VfB Oldenburg zumindest symbolisch gegen Rassismus zu positionieren. Das finden wir grundsätzlich gut. Allerdings ist es mit ein paar netten Worten und einem Hashtag nicht getan.

 
Wie war es zuletzt um die Diskussionen rund um eine Rückkehr in Block A
bestimmt? Über das Für und Wider (Bessere Stimmung vs. Separierung) scheiden sich ja bekanntlich die Geister.

 

Ein Block auf der Haupttribüne ist wohl seit mindestens 20 Jahren der Traum der Fan- bzw. Ultràszene. Natürlich wäre aus dieser Position betrachtet der Verbleib auf der
Gegengerade eine Art Separation vom Rest der aktiven Fanszene. Aber anders als 2017 erscheint der Weg in den Block A für uns nicht gangbar, da sich im mittlerweile in “Paul Hewitt Block” umbenannten Sektor andere Gruppen angesiedelt haben. Hierbei würde es wohl auf kurz oder lang zu Konflikten kommen.

 
Wie ist euer derzeitiges Verhältnis zu den Verantwortlichen beim VfB?

 
Wir hatten noch nie ein sonderlich gutes Verhältnis zu den Verantwortlichen. Unter
Barysch mussten wir mit Materialverboten kämpfen, nachdem sich Fans wegen der
eingeschränkten Sicht durch Fahnen im Fanblock beschwerten. Übergriffe auf uns und
unser Material gab es auch schon zu jener Zeit und es hat damals wenige gejuckt.
Die Auffassung der Vereinsverantwortlichen bezüglich Fanbelange ist aus unserer Sicht
irgendwo in den 90ern stehen geblieben und Kenntnis von der eigenen Fanszene scheint kaum vorhanden zu sein. Dazu kommt noch ein merkwürdiges Verständnis von politischer Neutralität. Besonders peinlich ist, dass sie es damit zur Sportschau (3) geschafft haben und sich so vor einem großen Publikum blamierten. Das ist weitaus schlimmer als im Sparten-TV mit Leibchen spielen zu müssen. Von daher finden wir es okay, dass wir momentan wenig Verhältnis zu Ihnen haben und uns klar abgrenzen können.

Basteln

Welcher Schritte bedarf es aus eurer Sicht, um das Verhältnis zwischen Fans und
den VfB Verantwortlichen langfristig wieder zu verbessern?

 
Es wurde soviel Porzellan zerschlagen, dass es wohl nicht mehr über Zweckbündnisse
hinausgehen wird. Doll und Hoffmann sind aus unserer Sicht kaum tragbar und ein gutes Verhältnis zwischen Fans und Vereinsoffiziellen wird erst dann wieder entstehen können, wenn ihre Positionen neu besetzt wurden. Das wird aber wahrscheinlich nicht so schnell geschehen.

Nicht alle Ultras sind Mitglied beim VfB. Wie steht ihr zur Vereinsmitgliedschaft?

 
Aus unserer Gruppe ist eine Person VfB Mitglied. Das sollte die Frage hinreichend
beantworten.

 
Gibt es noch etwas, was ihr an andere VfB Fans und Vereinsmitglieder loswerden
möchtet?

 
Werdet Mitglied im Verein. Der VfB für Alle kann vor allem aktive aber auch passive
Mitglieder gebrauchen, um wieder mehr Aktionen im Stadion anschieben zu können.
Zumindest wenn die Coronakrise überwunden ist. Damit das schnell geschieht achtet bitte immer noch darauf euch die Hände zu waschen, in Menschenansammlungen und
Räumen den Mund-Nase-Schutz aufzusetzen und Abstand zu halten. Seid zudem
solidarisch zu euren Mitmenschen und stellt euch auch weiterhin Nazis, Rassist*innen und Aluhüten in den Weg. Last but not least: Grüße gehen an alle unsere Freund*innen aus Oldenburg und anderen Städten raus!

 
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen und alles Gute!

 

(1) http://www.vfbfueralle.de/?p=1406

(2) https://vfb-oldenburg.de/2018/12/06/stellungnahme-des-vfb-oldenburg/

(3) https://www.youtube.com/watch?v=yxPH_SI4nKE

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